Anfang März haben sich Anja Sagara Ritter, Katharina Simma und Christine Jung zu dem Versuch getroffen, sich auf ein „Denken in Präsenz“ einzulassen.

Anja Sagara und ich begegneten uns auf der Denkumenta im September 2013 und lernten uns flüchtig kennen. Gemeinsam nahmen wir dort ein Angebot von Dorothee Markert wahr, ein Workshop zum „Denken in Präsenz“. Dieser Titel bezieht sich auf das gleichnamige Buch der italienischen Philosophin Chiara Zamboni: Denken in Präsenz. Sie versteht darunter ein mündliches Philosophieren, bei dem der körperlichen Anwesenheit der Teilnehmenden und deren Beziehungen untereinander ein besonderer Wert zugesprochen wird. Aus diesem Workshop heraus entstand der Wunsch einiger weiterer Teilnehmerinnen am Weiter-Denken und so kam es zu diesem Treffen.

Vorbemerkung

Der folgende Bericht ist in der Gegenwart geschrieben und folgt dem Ablauf unserer Begegnung und Zusammenarbeit.

Katharina Simma ist seit langem mit Anja Sagara befreundet, ich kenne sie nicht.

Nicht alle von uns haben das Buch zuvor gelesen, bzw. angelesen. Wir wollen versuchen von uns ausgehend, einen Raum zwischen uns schaffen, der Neues für uns alle drei ermöglicht und ein Anfang sein kann.

 Wie sind wir vorgegangen, was haben wir erlebt?

Der Ausgang unseres Gespräches bildet die Absicht uns in einer experimentellen Haltung auf einander einzulassen. Wir verständigen uns, keine große Vorstellungsrunde an den Beginn zu stellen, sondern das notwendige Wissen über uns persönlich, an gegebener Stelle mit einfließen zu lassen.  Der Begriff des „Dazwischen“ aus dem ABC des guten Lebens bildet den Ausgangspunkt für unser Gespräch. Als wir zu Beginn ins Stocken geraten, lese ich einige markierte Aussagen von Chiara Zamboni. Das reicht, um in Fluss zu kommen.

Wir formulieren ein persönliches Anliegen, was jede für sich klären will und welches die Richtschnur für unser gemeinsames Philosophieren bilden soll. Jeder Punkt, jede Frage, jede Erkenntnis die uns wichtig erscheint, wird auf einem großen Flipchartbogen festgehalten.

 Zeichnung mit Ergebnissen

Dazwischen

Wir stellen fest, dass ein echter Austausch zwischen Menschen oft durch eine starre Haltung und „sicheres“ Wissen verhindert wird. Das wollen wir hier und heute nicht. Sondern wir fragen, was ist jetzt in diesem Moment präsent in und zwischen uns? Was bedeutet es von uns und unserem Eigenen auszugehen: unseren Gedanken, Bedürfnissen und Sehnsüchten? Was könnte das Lebendige zwischen uns drei Frauen sein? Wir wollen nicht wissen, wie man etwas macht oder etwas zu sein hat.

Wir finden den Begriff des „verflüssigen“ nützlich, der dem Lebendigen, nicht Starren, der Form und dem Normalen gegenübersteht. Mit dem Denken über den Begriff des  Lebendigen kommen wir schnell zu dem Begriff der Intuition, die es gilt wahrzunehmen und in unseren (aber auch generell)  Prozess mit einzubeziehen. Wir erkennen, dass wir für das Wahrnehmen von intuitiven Impulsen eine Form der inneren Ruhe brauchen, sei es allein – jede für sich – in Form von Meditation oder in der Natur oder auch gemeinsam, wie wir es gerade tun. Miteinander innehalten, Gedanken fließen lassen, teilen und schauen was passiert ohne von vornherein bereits ein Ziel festzulegen, wie wir es oft aus der Arbeit gewohnt sind. Wir üben uns in Aufmerksamkeit – uns selbst gegenüber, aber auch um im richtigen Augenblick das Gespräch weiter zu führen und Neues einzubringen.

Wir trauen uns unsere eigene Sicht auszusprechen, ohne etwas zurück zu halten. Denn wir verstehen, dass wir uns nur so begegnen und weiter entwickeln können.

Wir fragen, was ist das für ein Moment, der es ermöglicht vom Gedanken (Denken) ins Handeln zu kommen? Oft erscheinen uns die Schritte zu groß, die wir im Alltag gehen und scheitern vielleicht deshalb. Veränderung kommt in Gang, wenn wir mit ganz kleinen Schritten losgehen und irgendetwas einmal anders machen. Uns erlauben Anderes, Neues, spielerisch auszuprobieren an Orten (mit Menschen), wo die Gefahr klein ist, uns oder anderen zu schaden Wenn zum Beispiel in bestimmten Runden davon ausgegangen wird, es gäbe nur die eine richtige Lösung, sich nicht zurückhalten, sondern sagen: „DAS könnte man aber auch ganz anders sehen!“ Oft scheint es  Angst vor Liebesentzug zu sein, die uns nicht handeln lässt. Dieser Angst wollen wir nicht mehr folgen.

Wir stellen fest, dass wir Menschen oft  auf ein konkretes Ziel hin arbeiten. Und in diesem Sich-Bewegen, in diesem Tun, begegnen wir dem Unverfügbaren, etwas das zwar hier und jetzt auch irgendwie da ist, worauf wir aber keinen Einfluss bzw. Zugang haben. Dieses geschieht, ohne unser Zutun, wir können es nicht wirklich steuern.

Das Unverfügbare: Ein Begriff, der uns stark beschäftigt. So ist es wichtig zu fragen, was wir wollen und was unsere Ziele sind. Und die noch viel umfassendere Frage zu stellen, nach dem was wir wirklich wirklich wollen. Eine existentielle Frage, gestellt durch den Philosophen Frithjof Bergmann  (Neue Arbeit, Neue Kultur).

So richtig und wesentlich es ist zu fragen, wer sind und was wir wollen und dieser Spur zu folgen, erleben wir täglich, das Dinge in unserem Leben geschehen, einbrechen, auf die wir keinen Einfluss haben.

Wir merken, dass offen und  bereit sein, das Einzige ist, was in unsere Macht liegt. Wir stellen fest, die Richtschnur, die Wegweiser durch unser Leben sind die „innere Stimme, „Impulse“, die „Gottseele“  in uns, „Träume“, unsere „Intuition“. Die verschiedenen Begrifflichkeiten sind unseren unterschiedlichen Weltanschauungen geschuldet, die uns auf der Suche nach dem Lebendigen zwischen uns zu keinem Zeitpunkt  behindern. Es gelingt uns in unserer Unterschiedlichkeit wertschätzend stehen lassen, aufmerksam zuzuhören und wir finden darin große Bereicherung.

Wir wollen wissen: Wie gelingt es in unserem individuellen Leben Räume zu schaffen für diesen Prozess, diesen persönlichen Weg?

Es scheint ein aktives Abgrenzen notwendig, zwischen dem Arbeiten an konkreten Zielen und der Frage nach dem wirklich wirklich wollen, dem Dazwischen, dem Lebendigen.

Zielgerichtetes und notwendiges Arbeiten beschränkt den Blick (wenn wir z.B. an einer Diplomarbeit oder dem Gestalten einer Homepage arbeiten – was zu diesem Zeitpunkt und bei bestimmten Tätigkeiten gut und notwendig ist), denn um vorwärts zu kommen, müssen wir Teile von links und rechts ausblenden, das Ziel in den Fokus nehmen, um nicht zu zerstreuen.

Darüber hinaus aber ist es wichtig inne zu halten und den Blick weit zu machen. Nur wer stehen bleibt, kann sich auch rundherum drehen! Das ist zum einen ein individuelles Vorgehen. Zum anderen gelingt ein weiterer Blick, ein Perspektivenwechsel gut in Gemeinschaft mit anderen Menschen. Das erfahren wir drei Frauen direkt, hier und jetzt. Wir erahnen das Dazwischen von Individualität und Globalität. In beiden Fällen heißt es auf Impulse und die innere Stimme zu achten. Sie ist leise und es gehört Übung und ein wirklich wirklich wollen dazu, sie zu hören und sich auf sie einzustellen. Sie hat den Charakter eines: Immer anders wie erwartet – aber gut.

Ergebnis unseres Philosophierens

Es ist uns gelungen für unser gemeinsames Denken einen Raum zu schaffen, ein Dazwischen zu erleben. Neues ist möglich, wir bewegen uns. Jede hat ausgehend von ihrer ursprünglichen Fragestellung sehr viele Anregungen erhalten, ist mit sich selbst in Kontakt gekommen und spürte sich. Wir fühlen uns reich beschenkt, es war ein einziges großes Fließen.

Wie geht es weiter?

In der Frage nach dem wirklich wirklich wollen, so wie sie der Philosoph Frithjof Bergmann stellt, bleiben noch viele Fragen, mit denen wir uns weiter beschäftigen wollen.

  • Gibt es den einen Wesenskern von  Menschen?  Gibt es ein konstantes Ich?
  • Wenn man solche Fragen stellt: welches Weltbild steht dahinter? Zum Beispiel: Individualisierung versus Chaostheorie versus verschiedener Persönlichkeitstheorien?
  • Lässt sich diese Frage am Ende eines Lebens in einer Art Lebensrückschau beantworten? Und wie würde sie ausfallen?
  • Wenn es einen Wesenskern gibt, gibt es Worte die beschreiben, was einen Menschen ausmacht?

Für ein nächstes Treffen haben sich insbesondere folgende für uns „heiße“ Fragen aus „Neue Arbeit, Neue Kultur“ für ein gemeinsames Weiterdenken als Ausgangspunkt angekündigt.

„… Es gibt zwei verschiedene Ebenen, zwei verschiedene Fragen, zu dem wirklich wirklich wollen.

  1. Was scheint für mich das Aufregendste und Spannendste zu sein? Was löst im Moment das größte Aufwallen von Energie aus?
  2. Was wird mir auf lange Sicht gesehen am effektivsten helfen, zu einem autonomen, aktiven und tatsächlich lebenden Menschen zu werden? Was wird mir am meisten helfen, die primären Schwächen zu überwinden, unter denen die Menschheit leidet?“ (Neue Arbeit, Neue Kultur: S. 373)

(unter Mitarbeit von Anja Sagara Ritter)